Improvisation war (und ist noch) alles
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber im Rückblick auf das Jahr 2020 könnte man es auch ein kleines Wunder nennen: In dem jüngst abgelaufenen Kalenderjahr konnte der Caritasverband für die Regionen Fulda und Geisa seine sämtlichen Dienste und Angebote für Menschen in akuten Notsituationen oder mit Unterstützungsbedarf durchweg erreichbar halten. Das Jahr 2020 hatte auch noch ganz unspektakulär begonnen, doch mit den immer bedrohlicher wirkenden Nachrichten über das neue unbekannte Corona-Virus, das sich in China und Asien ausbreitete und Europa immer näherkam, war es auch für die Caritas in Osthessen mit der Normalität ab Februar 2020 schnell vorbei gewesen.
Seit ziemlich genau zwölf Monaten also, so die Geschäftsführerin des Caritasverbandes für die Regionen Fulda und Geisa, Susanne Saradj, befinde man sich im permanenten Ausnahmezustand und sei es für die Leitung ein tagtägliches Abwägen gewesen: "Welche neue aktuelle Pandemie-Situation haben wir heute? Gibt es neue Verordnungen, die beachtet werden müssen? Was können und dürfen wir unter dem Aspekt der Fürsorge für Klienten und Mitarbeitende guten Gewissens momentan noch machen, was lassen wir lieber bleiben, oder wie modifizieren wir es Corona-gemäß?"
Die Arbeit der Regional-Caritas - das ist vor allem die Arbeit an der Basis und nahe am Menschen mit den Anlaufstellen und Beratungsstellen für Hilfesuchende - lebt eigentlich insbesondere vom engen Kontakt: Beraterinnen und Berater, Mitarbeitende in den Sozialstationen und in den Caritas-Zentren waren für die Menschen vor Corona unmittelbar ansprechbar und gingen stets auch ohne Vorbehalte auf Tuchfühlung. Kontakte - wenn nötig - waren immer schnell und unkompliziert vereinbart.
Das galt nun plötzlich alles nicht mehr: Enges Zusammenkommen war von jetzt auf gleich verpönt. Selbst viele der Ehrenamtlichen - etwa in der Bahnhofsmission - wurden sozusagen "nach Hause geschickt": "Das war traurig für uns und auch für die Betroffenen, die trotz Corona gerne weitergemacht hätten", erläutert Werner Althaus, der bei der Regional-Caritas Fulda u. a. auch für die Ehrenamtlichen-Arbeit zuständig ist. "Aber viele unserer Freiwilligen fielen auf Grund ihres Alters in die Corona-Risikogruppe. Aus Fürsorge für sie kam ein Einsatz nicht mehr in Frage. Bei der Bahnhofsmission haben wir dementsprechend zurzeit nur noch 15 statt vormals 38 Ehrenamtliche aktiv im Einsatz."
Die geringere Zahl an Ehrenamtlichen ist für die Bahnhofsmission in diesen Corona-Zeiten insofern verschmerzbar, weil die angefragten Aus- und Umsteigehilfen am Bahnhof sich verringert haben, und offener Publikumsverkehr in den Räumen der Bahnhofsmission ist derzeit untersagt. "Momentan gibt es nur eine Imbissausgabe für Bedürftige aus dem Fenster heraus", sagt Werner Althaus. "Nur dann, wenn jemand ganz offensichtlich akut Hilfe benötigt und beispielsweise in einem Gespräch seinen Kummer loswerden will, bitten wir diese Einzelperson herein - aber mit Maske und dem nötigen Abstand natürlich!"
Gespräche "face-to-face" sind auch wesentliches Instrument im Betreuten Wohnen für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Doch Treffen sind schwer möglich, waren eine Zeit lang - im ersten Shutdown - sogar ganz verboten, da die Klientel zu den Corona-Risikogruppen gehört. Für psychisch kranke Menschen ist es ganz besonders schlimm, wenn ihre strukturgebenden Pfeiler wie Arbeit, Therapiestunde und Selbsthilfegruppe alle wegbrechen", erklärt Caritas-Betreuerin Christine Wolter-Görs. "Und hier spielt natürlich auch der Faktor ‚Zeit‘ eine große Rolle. Je länger die mit der Pandemie einhergehende Isolierung andauert, umso größer ist die Gefahr, dass Depressionen wieder zum Tragen kommen oder sich Suchtprobleme wiedereinstellen. Unsere Devise in der Begleitung ist es daher, die üblichen wöchentlichen Besuche durch das Angebot zusätzlicher Telefonate mit den Betreuten zu ergänzen, einfach um den Faden keinesfalls abreißen zu lassen!"
Eine der Klientinnen von Christine Walter-Görs ist Frau A*). Sie beurteilt ihre Situation sehr reflektiert: "Eigentlich arbeite ich im Carisma bunt.Werk (eine Caritas-Werkstatt - Anm. der Red.). Aber davon war 2020 nicht viel übriggeblieben: Schließung und Betretungsverbot im Frühjahr, im Sommer dann für kurze Zeit zwei Arbeitstage pro Woche, dann im Herbst wegen überfüllter Busse und steigender Infektionszahlen wieder Daheimbleiben und Corona-Shutdown im November… - vor allem da, als alles geschlossen war, ist mir die Decke schon manchmal auf den Kopf gefallen." Als aktive Künstlerin und Handarbeiterin schafft sich Frau A. zwar selbst ihre Tagesstruktur, doch es geht ihr natürlich auch um das Zwischenmenschliche: "Wenn alles sozialen Kontakte wegbrechen, dann sind die Zusammentreffen mit Frau Walter-Görs wirklich ganz wichtige Termine für mich, einfach um mal reden zu können!"
Auch die Menschen, die hörgeschädigt sind oder unter Gehörlosigkeit leiden, sind eigentlich auf ein Miteinander in Selbsthilfegruppen und im für sie eingerichteten Caritas-Mittwochstreff angewiesen. Kommunikation funktioniert für sie am besten Face-to-Face, denn sie müssen für die Verständigung Gebärden und Mimik des Gegenübers "lesen". "Das sind die Masken natürlich eine Katastrophe", erläutert Werner Althaus, der bei der Caritas auch die Gehörlosenhilfe betreut. "Schreiben und Lesen sind für viele Gehörlose nicht die beliebteste Alternative, denn zumindest die Älteren haben in Deutschland noch erleben müssen, dass man sie weg von der Gebärdensprache hin zu den üblichen Kommunikationsformen umerziehen wollte. Nun versuchen wir aber doch per E-Mail-Aussendungen die Gruppe auch ohne den Mittwochstreff ein wenig beieinander zu halten. Das läuft sogar unerwartet gut - auf ein E-Mail-Quiz haben wir kürzlich erstaunlich viele Rückmeldungen erhalten!"
Ein wichtiges Aufgabenfeld, in dem die Caritas ihre Arbeit trotzt der Pandemie keineswegs einfach hätte stoppen können, ist die Häusliche Pflege. Aus den fünf Caritas-Sozialstationen in Fulda und Umgebung heraus werden tagtäglich rund 650 Pflegebedürftige und sonstige Menschen mit Hilfebedarf pflegerisch und hauswirtschaftlich begleitet. "Die Menschen, die wir da in Betreuung haben, sind auf Grund ihrer Erkrankungen und Einschränkungen auf diese Hilfe absolut angewiesen", erläutert Patricia Bott, Fachbereichsleiterin der Ambulanten Pflege. "Das heißt, wir konnten sie zu keiner Zeit im Stich lassen. Gleichzeitig muss ich natürlich aber auch immer abwägen, wie ich das Ansteckungsrisiko minimiere, wie ich mit den Sorgen und Ängsten meiner Mitarbeitenden umgehe. Und - bei allen Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen: Wie kann ich die Abdeckung aller Dienste immer wieder aufs Neue sicherstellen, wenn zahlreiche Mitarbeitende wegen Kontakt mit infizierten Klienten in Quarantäne müssen?" Die Caritas Fulda hat organisatorisch für die besondere Lage eine pragmatische Lösung gefunden: Derzeit fungieren die fünf Sozialstationen als eine große Einheit, innerhalb derer das Personal immer dort aushilft, wo Quarantäneverordnungen oder Erkrankungen die größten Löcher in die Personaldecke reißen. "Die Solidarität und Kollegialität ist schon sehr groß", zeigt sich Patricia Bott sehr erfreut.
Zwei Arbeitsbereiche der Regional-Caritas Fulda haben unter dem Zeichen von Corona besonders große Bedeutung erlangt. In der Schuldnerberatung verzeichnete man bald nach Beginn der Krise einen wachsenden Zulauf - ungeachtet dessen, dass die Beratung auch weitgehend auf fernmündliche Besprechungen umgestellt wurde. Dabei, so erläutert es Schuldnerberaterin Ursula Hillebrand, kam der erhöhte Zulauf vor allem von Menschen mit mittleren Einkommen - üblicherweise verfügt die Klientel dort eher über geringe Einkommen oder erhält Sozialleistungen. "Diese Menschen jedoch", so Hillebrand, "sind durch Corona in prekäre Situationen geraten. Sie haben durch den Shutdown und die nachfolgende Wirtschaftskrise ihre Arbeit zumindest vorübergehend verloren und können nun ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen, weil nicht genug Reserven vorhanden sind." Hier versucht die Schuldnerberatung mit den Schuldnern vor allem Übergangslösungen zu finden, denn viele hoffen natürlich, nach der Pandemie wieder in ihr normales Leben zurückkehren zu können. "Wir haben zudem aber auch viele Altfälle, bei denen eigentlich Regelungen vereinbart waren, die nun aber - in der Krise - nicht mehr funktionieren. Auch da müssen wir erneut verhandeln, damit die Entschuldung in machbarer Größenordnung vollzogen werden kann." Die Schuldnerberatung rechnet mit einem weiteren Anstieg der Beratungsfälle auch im Jahr 2021.
Wohnungslose sind eine weitere Gruppe von Menschen, die in Zeiten der Corona-Pandemie nicht auf die üblichen Hilfen bauen kann und von der Caritas besonders in den Blick genommen wird. "Hygienekonzepte und Abstandregelungen sind unseren Betreuten natürlich nicht ganz so einfach zu vermitteln", erläutert der zuständige Leiter der Wohnungslosenhilfe, Torsten Hammer. "In unserem Haus Jakobsbrunnen mit der Tagesstätte und den Wohnapartments für Personen, die wieder sesshaft werden wollen, gelten strenge Regeln, die wir auch durchsetzen, um die Arbeit durch Infektionsfälle nicht zu gefährden. Doch für die Menschen, die von der Straße kommen, haben wir unsere Hilfsangebote ein wenig den derzeitigen Möglichkeiten angepasst!" So kommt man den Menschen auf der Straße entgegen und bringt diesen Winter erstmalig mit dem "Caritas-HOT-Truck" wochentags warmes Mittagessen an festgelegte Haltestellen, wo bedürftige Personen sich das Essen ausgeben lassen können. Hygienisch verpackt kann es mitgenommen und an geeigneten Plätzchen verzehrt werden. HOT steht dabei übrigens nicht nur für warme Mahlzeiten, sondern auch für Hilfsbereit, Offen Täglich. Voraussichtlich bis März wird der Truck unterwegs sein.
*) Vollständiger Name der Redaktion bekannt.
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